Miese UX für viele Kekse
Warum Cookie-Hinweise bewusst nutzerfeindlich gestaltet werden.
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Vor knapp drei Jahren, am 25. Mai 2018 trat die DSGVO, die Datenschutzgrundverordnung in Kraft. Das hatte eigentlich nur eine einzige augenscheinliche Folge: So ziemlich alle Websites im EU-Raum haben nun einen mehr oder weniger hässlichen Cookie-Hinweis, mit dem Besucher:innen gebeten werden, dem Tracking des Surfverhaltens zuzustimmen, etwa zur stetigen Verbesserung des besuchten Digitalangebots.
Lieber User, ich würde dir gerne an neuralgischen Punkten meiner Website über die Schulter schauen, denn wenn ich sehe, dass du und viele andere hier nicht klarkommen, dann mache ich die Website für dich besser.
Um die Rödelheimer Wortakrobatin Sabrina Setlur zu zitieren: “Ja. Klar.”
Sicherlich geht es zu einem gewissen Teil um User Experience. Aber machen wir uns doch nichts vor. Es geht noch viel mehr um Targeting, Retargeting, Programmatic Advertising, Marketing Automation und so weiter.
Mit der rosaroten Marketingbrille betrachtet geht es darum, Nutzern mit relevantem Content, Informationen oder Produkten zu versorgen, um den eigenen Erfolg zu maximieren. Bestenfalls ist das eine win-win-Situation. Ich finde in Sekundenschnelle meinen neuen Lieblingsschuh und der Onlinehändler freut sich über meinen Einkauf.
Tatsächlich ist das aber purer Kapitalismus, die User Experience in diesem Kontext eher ein Schimpfwort. Bei der Funnel Optimierung geht es nicht darum, dem Nutzer das bestmögliche Shopping-Erlebnis zu bescheren. Es geht darum, die Wahrscheinlichkeit eines Kaufes zu maximieren. Bestenfalls macht das dem User auch Spaß. Aber wir sollten aufhören, das User Experience zu nennen.
Was ist nochmal User Experience?
Der Begriff User Experience (Abkürzung UX, deutsch wörtlich ‚Nutzererfahrung‘, besser ‚Nutzererlebnis‘ oder ‚Nutzungserlebnis‘ — nach Norm DIN EN ISO 9241 Teil 210 heißt es ‚Benutzererlebnis‘) umschreibt alle Aspekte der Eindrücke und das Erlebnis eines Nutzers bei der Interaktion mit einem Produkt, Dienst, einer Umgebung oder Einrichtung.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/User_Experience
Ich liebe es, dass es eine DIN-Norm gibt, die das beschreibt.
Aber, liebe Marketingfreunde, jetzt nehmen wir uns alle mal einen Stuhl, setzen uns in diesen Kreis des Vertrauens, schauen uns gegenseitig tief in die Augen und überlegen uns, ob wir bei UX Optimierungen wirklich das Benutzererlebnis verbessern wollen.
Ich glaube, UX ist tot.
Wir sagen UX und meinen CP — Closure Probability. Die Abschlusswahrscheinlichkeit. Die wollen wir optimieren. Das auf dem Weg dahin der Nutzer mehr Spaß haben könnte, ist vielleicht das Vehikel. Aber nicht unser Ziel. Wir wollen den Nutzer nicht zu seinem Ziel führen, sondern zu unserem.
Und das kann ich beweisen, indem ich mir eure Cookie-Hinweise anschaue.
Eine willkürliche Auswahl an Websites von Automobilherstellern in Deutschland offenbart eine sehr klare Tendenz.
Audi wählt eine leicht verständliche Sprache für das Cookie Banner und ermöglicht Besuchern die individuelle Konfiguration der Cookies.
Allerdings fällt aus UX-Sicht doch eines sofort auf: Button-Farben und Beschriftungen. Oft sprechen wir hier von geführter Navigation und von primären und sekundären CTAs. Man sieht das im Hintergrund des Screenshots schön: Der primäre, auffälligere CTA steht in Leserichtung von links nach rechts zuerst und lädt zum “Mehr erfahren” ein, der sekundäre, durchsichtige und dadurch dezentere CTA bietet “Jetzt konfigurieren” an. Das ist logisch gedacht: Audi möchte Besucher:innen zunächst für das Fahrzeug begeistern, ist das schon der Fall, begeben diese sich freiwillig einen Schritt tiefer in den Kaninchenbau bzw. Purchase Funnel und konfigurieren das Wunschauto.
Genauso arbeitet man in dem Cookie Banner mit primären und sekundären CTAs.
Der primäre CTA mit der stärkeren Farbe und zuerst gesetzt macht es auch sprachlich ganz einfach: “Alle akzeptieren”, schon ist alles erledigt und die Audis können entdeckt werden. Der sekundäre CTA, schlechter als Button zu erkennen sagt “Einstellungen speichern”. Ja Moment mal, welche Einstellungen denn?
Das sieht nach Arbeit aus.
Hey, ich will hier nicht arbeiten, ich will Autos entdecken!
Scrollt man die Liste an weiteren Cookies nun nach unten, kommt da kein weiterer Button. Mit etwas Nachdenken erschließt sich, dass “Einstellungen speichern” ohne ein weiteres Cookie zu aktivieren offenbar folgendes bedeutet: “Keine Cookies, außer den essentiellen erlauben”.
Ein ganz klares Ausnutzen bekannter und gelernter UX-Mechanismen, um Nutzer:innen dazu zu bewegen, den für ihn bequemsten, für Audi aufschlussreichsten Weg zu wählen und auf “Alle akzeptieren” zu klicken.
Zum Vorteil von Audi. Bestenfalls neutral für Besucher.
Aber eigentlich wird der Nutzer hier mit UX-Methoden übervorteilt. Komm, gib schon her, lass dich tracken, du willst es doch auch…
Oder um es hart zu formulieren: Die User Experience bei dem Cookie Banner ist bewusst schlecht, damit der Nutzer entnervt zustimmt.
Wer jetzt mit Mistgabeln nach Ingolstadt stampfen will, darf sich erst mal einen Fencheltee zur Beruhigung kochen: Das machen die meisten so:
Die gute Nachricht: Nicht alle sind so.
Das Experiment lässt sich so natürlich endlos fortführen und auf jede Branche übertragen. Schaut euch die Cookie-Hinweise doch mal etwas genauer an!
W&V titelte kürzlich, “Cookie-Hinweise nerven Online-Shopper”, adressiert dabei aber nicht das eigentliche Problem. Die Cookie-Hinweise nerven deshalb, weil das Erlebnis für datenschutzsensible Nutzer:innen eigentlich immer frustrierend ist. Entweder man wählt den schnellen Weg der uneingeschränkten Zustimmung, oder muss sehr genau lesen, wo und wie man klicken muss.
Liebe Kollegen, wie können wir solche UX-Albträume bauen und dann noch in diese Boxen und Banner schreiben, das Tracking diene der Optimierung des Nutzererlebnisses?
Und wie kommen wir aus dieser Sauerei wieder raus? Vielleicht mit äußeren Zwängen. NOYB, eine Aktivistengruppe, hat kürzlich diverse Websites gecrawled und das was ich hier mit ein paar Screenshots aufgezeigt habe, automatisiert ausgewertet. Es handelt sich dabei nach deren Ansicht nämlich um Verstöße gegen die DSGVO. NOYB fordert diese Websitebetreiber nun zunächst auf, diesen Missstand zu beheben und will gegen die Verweigerer dann gerichtlich vorgehen.
Und ich bin mir sicher, dass es da draußen noch einige Marketingexperten gibt, die UX nicht nur als Mittel zum Zweck, nicht nur zur Optimierung der Abschlusswahrscheinlichkeit nutzen, sondern ihren Nutzer:innen tatsächlich positive Erlebnisse bescheren wollen.
Wir müssen mehr und besser beraten. Nicht nur bei Cookie-Hinweisen.
Wenn wir uns Nutzerfreundlichkeit auf die Fahnen schreiben, müssen wir das auch umsetzen. Auch wenn es schmerzt, weil Nutzer:innen andere Interessen haben, als wir. Aber Der Cookie-Hinweis ist unsere digitale Ladentür. Wollen wir, dass unsere Besucher:innen schon an der Tür schlechte Laune bekommen?