Wer keine Ahnung von Autos hat, ist auf Herstellerwebsites verloren

René Porth
6 min readNov 7, 2022

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Photo by averie woodard on Unsplash

Interessiert man sich für einen Neuwagen, führt der Weg zwangsläufig irgendwann auf die Herstellerwebsite. Dort gehört ein Konfigurator seit Jahren zum guten Ton. Aber bevor potenzielle Käufer*innen diesen nutzen können, stellt sich zunächst eine entscheidende Frage: Welches Fahrzeug ist das richtige? Welches Fahrzeug will konfiguriert werden?

Digitale Touchpoints haben Autohändler*innen zum Erfüllungsgehilfen degradiert. Laut Cars Online-Studien besuchen Kund*innen das Autohaus im Schnitt zwei Mal: Für den Abschluss des Kaufvertrags und zur Abholung des Fahrzeugs.

Der Kaufentscheidungsprozess findet also woanders statt — insbesondere online.

Aber wie findet man online das ideale neue Auto?

Ein*e Händler*in stellt im Beratungsgespräch meist folgende Fragen:

  • Was fahren Sie aktuell, warum was neues?
  • Welche Strecken fahren Sie typischerweise?
  • Alleine oder mit anderen Personen? Gepäck? Urlaub? Hobby?
  • Wieviel möchten Sie ausgeben? mtl. Rate oder Kauf?

… und führt auf Basis dieser Informationen Interessent*innen an ein mögliches passendes Fahrzeug, um ein Verkaufsgespräch zu führen oder weiteres über den Kunden zu lernen.

Aber wie läuft das Online? Wird ein Interessent ähnlich ergebnisoffen beraten? Oder erwarten die großen Marken, dass das Sortiment bekannt ist? Laut DataForce-Studie bleiben nur noch 50% der Käufer*innen ihrer bisherigen Marke treu. Sie müssen sich also irgendwie in die Fahrzeugpalette anderer Hersteller einarbeiten. Doch wie leicht wird dieser Einstieg gemacht?

Man könnte versuchen, meine Argumentation, meine Kritik damit zu entkräften, dass die Auswahl des Modells gar nicht auf einer Herstellerwebsite, wahrscheinlich nicht mal auf irgendeinem Touchpoint des jeweiligen Herstellers stattfindet. Aber das wäre besorgniserregend. Müssen Hersteller etwa darauf vertrauen, dass der Vater, die Autoexpertin oder der Influencer des Vertrauens den Skoda Enyaq IV empfiehlt, statt Opel Grandland X? Und selbst wenn es heute so sein sollte: Was tun Hersteller 2022 dafür, diese Entscheidung zukünftig nicht mehr aus der Hand zu geben, in ihrem Sinne zu beeinflussen?

Werfen wir also einen Blick auf die Websites der sechs meistverkauften Automarken Deutschlands 2022: Skoda, Opel, Audi, BMW, Mercedes und Volkswagen. Angenommen, ich habe eine diffuse Vorstellung von meinem Budget und meiner typischen Autonutzung, aber keine Ahnung von der Produktpalette, finde ich (m)ein Traumauto?

Skoda.de

Screenshot skoda.de — Modellauswahl mit zunächst kryptischen Filteroptionen und einem angezeigten Modell in Baseballcard-Optik
Screenshot — skoda.de, Oktober 2022
Screenshot des Konfigurators: Neben kompakteren Modellvorschauen lockt ein optisch herausstechender Teaser “Modellberatung”
Screenshot — skoda.de, Oktober 2022
Screenshot Modellberatung: Ich kann Häkchen für mir wichtige Technische Daten und Ausstattungsmerkmale setzen
Screenshot — skoda.de, Oktober 2022
Screenshot des zweiten Schritts: Überschrift “Preis bis” und ein Schieberegler, ansonsten viel Graufläche
Screenshot — skoda.de, Oktober 2022

Skoda verwirrt mich zunächst mit vordefinierten Filtern. Familie, , Sport, City,… Der Karoq ist anscheinend fast immer dabei, der Octavia auch. Dann bräuchte Skoda aber keine 11 verschiedenen Modelle, sondern nur zwei bis drei. Die Marketingtexte helfen nicht weiter, die Einstiegspreise immerhin ein bisschen. Nachdem ich es aber bis in den Konfigurator geschafft habe, lockt die Kachel “Modellberatung”. Unter der Überschrift “Das ist mir wichtig” dürfen Häkchen zu relevanten Antriebstechnologien und gewünschten Ausstattungsfeatures gesetzt und ein Schieberegler für einen Maximalpreis bewegt werden.

Richtig gut funktioniert das aber nicht: Mit der im Screenshot sichtbaren Auswahl wird mir bei einem Preislimit von 41.000€ der Scala Monte Carlo empfohlen. Erhöhe ich das Preislimit auf den Maximalwert von 51.000€, überrascht das Ergebnis: “Wir haben leider kein Fahrzeug zu Ihrem Preisrahmen gefunden.” Unglückliche Implementierung eines wirklich guten Ansatzes.
Dennoch: Skoda bemüht sich offensichtlich, zumindest im Konfigurator den Einstieg in die Palette für unbedarfte zu ermöglichen.

4/5 🚘

Opel.de

Screenshot — Opel.de, Oktober 2022

Der Punkt “Personenwagen” in der Hauptnavigation führt auf eine Übersichtsseite aller Fahrzeuge. Vordefinierte Filter wie “Kleinwagen” oder “Familienautos” schränken die Auswahl ein. Kombis heißen bei Opel “Sports Tourer”, das muss man wissen — oder herausfinden. Der Konfiguratoreinstieg lässt selbst diese Filter vermissen und man muss vorab wissen, oder raten, was der Unterschied zwischen einem Mokka, Crossland oder Grandland ist. Ab-Preise müssen manuell unter den Modellen und mit dem vorhandenen Budget abgeglichen werden.

2/5 🚘

Audi.de

Screenshot von Audi.de — man sieht zwei Baseball-Card-artige Modelvoransichten
Screenshot — audi.de, Oktober 2022
Screenshot der audi.de — man sieht diverse Filteroptionen, um die Modellauswahl einzuschränken — graue Kästchen auf schwarzem Grund
Screenshot — audi.de, Oktober 2022

Audi präsentiert sich aufgeräumt und elegant. Erst im Filter-Dropdown wird es wild. Die Modell-Bezeichnungen geben einen gewissen Aufschluss über Karosserietyp und Größe, wenn man weiß, das Q-Modelle SUV sind. Das setzt Audi voraus. Mit weiteren Filtern können Antriebsart und Bauform gewählt werden. Ein Maximalpreis und sogar ein Höchstwert für CO2-Emissionen können definiert werden. Und anscheinend hat man vergessen, dass an die Filterauswahl auch mal ein UX-Experte rankönnte. Hässlich und unübersichtlich.

3,5/5 🚘

BMW.de

Screenshot der bmw.de Modellübersicht. Baseballcards und ein paar Filtereinstellungen
Screenshot — bmw.de, Oktober 2022
Screenshot — bmw.de, Oktober 2022

BMW punktet mitvordefinierten Filtern und einer ebenfalls inkrementell benannten Modellpalette. Vielen ist bekannt, dass die Fahrzeuge mit aufsteigender Nummer immer größer werden. Das ergibt auch für die SUV-Modelle mit X, die Roadster mit Z, sowie die nachhaltigen Modelle mit i bzw. Performance-Modelle mit M Sinn. Wofür diese Buchstaben stehen, muss man aber wiederum wissen, für Nicht-Eingeweihte bleibt das kryptisch.

Der Punkt “mehr Filter anzeigen” erlaubt die Auswahl von Karosserieformen, Kraftstoffarten und einer von-bis — Preisspanne. Ausbaufähig, aber ein guter Anfang. Weniger Filtermöglichkeiten, als bei Audi, dafür übersichtlicher und ansprechender gestaltet.

3,5/5 🚘

Mercedes.de

Screenshot der mercedes.de Modellauswahl. Links und oben ein paar Filter, rechts unten die typischen Baseballcards
Screenshot — mercedes.de, Oktober 2022

Mercedes erlaubt die Filterung der Palette nach Sub-Marken wie EQ, AMG oder Maybach, Antriebskonzept und Karosserieform. Das war’s. Die Preise müssen manuell verglichen werden. Die Auswahl an SUV ist erschlagend und alles andere als übersichtlich. Das ist kein Premium-Erlebnis.

2/5 🚘

Volkswagen.de

Screenshot der volkswagen.de Modellübersicht: Ein paar Filter werden direkt angezeigt. Die Fahrzeuge werden darunter als Baseballcards mit Preis angezeigt.
Screenshot — volkswagen.de, Oktober 2022
Die aufgeklappten Filter erlauben die Auswahl nach Fahrzeugtyp, Kraftstoff, Getriebeart und maximalem Preis
Screenshot — volkswagen.de, Oktober 2022

Volkswagen bietet neben vordefinierten Filtern für die Schnellauswahl von Diesel, Elektro, Automatik, Benzin und SUV weitere vier Dropdown-Filteroptionen für Fahrzeugtyp, Kraftstoff, Getriebeart und Maximalpreis. Der Unterschied zwischen Taigo, T-Cross, ID.4, ID.5, T-Roc, Touran und Tiguan wird allerdings nicht erklärt. So viele SUV, so viele Fragezeichen.

3/5 🚘

Bonuscontent: Tesla

Fast reflexhaft wird Tesla als Universalreferenz im Automobilbereich genannt. In diesem Vergleich kann auch Tesla nur begrenzt überzeugen. Zwar gibt es nur vier Modelle, die wirklich sehr ansprechend präsentiert werden. Aber was ist der Unterschied zwischen Model X und Y?

3/5 🚘

Puh, ein enttäuschendes Ergebnis.

Dabei fing es mit Skoda doch so vielversprechend an. Wer auf Herstellerwebsites hofft, herausfinden zu können, welches Modell am besten zu den eigenen Bedürfnissen passt, wird meist enttäuscht werden.

Dabei könnte es so einfach sein.

Zum Beispiel bei Carwow. Dort empfängt mich direkt die entscheidende Frage: “Welches Auto passt zu Ihnen?”

Screenshot von carwow.de, dort können Neuwagenangebote verglichen werden. Ich werde aufgefordert, ein Auto auszuwählen, oder der Frage auf den Grund zu gehen, welches Auto zu mir passt.
Screenshot — carwow.de, Oktober 2022

Bei Klick auf den Button werde ich zu meinem Budget, bevorzugter Karosserieformen, Antriebsarten, Reichweite, Ausstattungsmerkmalen, Kofferraumgröße sowie möglichen Markenpräferenzen befragt. Darauf basierend präsentiert Carwow mir Vorschläge, die nach Passgenauigkeit zu den Angaben oder Preis sortiert werden können. Gefällt mir ein Fahrzeug, kann ich mit der Konfiguration beginnen.

Ergebnisse der Modellauswahl: Drei Fahrzeuge, die meinen Angaben entsprechen.
Screenshot — carwow.de, Oktober 2022

Der erste Treffer ist ein Octavia Combi — tatsächlich fahren wir genau dieses Auto, jedoch älteren Baujahres. Für mich zeigt das aber: Der Mechanismus funktioniert. Man muss ihn nur implementieren. Teile des Beratungsprozesses lassen sich einfach digitalisieren, indem man die Fragen, die im Autohandel persönlich gestellt wurden, in einer ansprechenden Self-Service-Mechanik umsetzt.

Nur… warum muss ich dafür auf die Website von Carwow? Warum nicht auf der Herstellerseite, wo nur die eigenen Modelle zu finden sind? Warum setzen sich Hersteller freiwillig dem Wettbewerb auf anderen Plattformen aus?

Fazit

Ich habe den Eindruck, Hersteller denken noch viel zu sehr in linearen Kaufentscheidungsprozessen. Vom TV-Spot zur Modellseite, von der Modellseite in den Konfigurator. Aber Autos sind kein Impulskauf. Diverse Studien belegen, dass der Kaufentscheidungsprozess alles andere als gradlinig und sehr rechercheintensiv ist. Unsere persönlichen Erfahrungen können das ebenfalls bestätigen.

Gegenwärtig verschenken alle geprüften Herstellerwebsites große Chancen, Kaufinteressenten ihre Produktpalette einfacher zugänglich zu machen und verlassen sich darauf, dass ihre Zielgruppe irgendwie zu ihnen findet. Das klappt allerdings nur durch Recherche auf fremden Plattformen — oder Empfehlungen, die, etwa bei Influencern, teilweise teuer eingekauft werden müssen.

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René Porth

38, strategy consultant, AI expert, tech enthusiast, diy musician and proud father