Ist die Nutzung von GenAI moralisch verwerflich?

René Porth
5 min readApr 8, 2024

--

A sketched illustration of a cyborg doing creative work

Niemand, der mich näher kennt, konnte entrinnen: Seit 2022 bin ich im KI-Fieber. Midjourney, Stable Diffusion, Elevenlabs, ChatGPT, RunwayML, Describe und Co — ich liebe und nutze KI-Tools beruflich wie privat, um mir das Leben zu erleichtern, Prozesse zu optimieren, aber auch aus purer Neugierde und Faszination.

Dennoch will ich die kritischen Stimmen gar nicht ausblenden. Und ich verstehe es als Digitalstratege auch als meine Berufliche Aufgabe, nicht einfach jedem Hype zu erliegen, sondern auch einzuordnen und kritisch zu hinterfragen. Denn es gibt neben rechtlichen Aspekten auch ein paar moralische Aspekte, mit denen man sich hin und wieder beschäftigen sollte.

Generative AI zerstört Arbeitsplätze und entwertet Kunst

10.000 Stunden, so besagt die Regel von Anders Ericsson von der Florida State University, müssen investiert werden, um in einem Gebiet zum „Meister“ zu werden. „Ohne Fleiß kein Preis“ lautet ein deutsches Sprichwort. Wer Gitarre spielen, Illustrationen zeichnen oder Anwendungen coden will, muss zunächst viel lernen und üben.
Generative AI bietet eine Abkürzung, die sich für manche so unverschämt anfühlen mag, wie eine Fast Lane am Flughafen oder auf dem Festival. Mit selbstgerechter Leichtigkeit marschieren GenAI-Anwender*innen an „klassischen Künstlern“ vorbei, schaffen eine deutlich höhere Frequenz an Output und überschwemmen damit Plattformen wie Instagram, Devianter und Co. Und das auch noch auf Basis von Trainingsdaten der traditionellen Künstler*innen, die noch die sprichwörtlichen 10.000 Stunden in ihre Leidenschaft investiert haben.

Ist das fair? Diese Frage haben sich Menschen auch bei der Erfindung der Digitalkamera oder der Entwicklung von Photoshop gestellt. Oder bei Computern. Kann man ein guter Fotograf sein, ohne zu wissen, wie man einen Film entwickelt? Kann man ein guter Autor sein, wenn man einen PC mit Rechtschreibprüfung und Thesaurusfunktion statt einer Schreibmaschine benutzt?

Ich wage einmal, den gerade überbordenden GenAI-Content in Social Media mit dem DSLR-Hype in den 2000er Jahren zu vergleichen. Spiegelreflexkameras wurden plötzlich bezahlbar und wir hielten uns alle für Fotografen. Aber nur wenige machten wirklich gute Fotos, blieben dran und verdienten damit sogar Geld, während bei vielen anderen die Kameras nach wenigen Fototouren oder Schlepperei im Urlaub im Schrank verschwanden oder schließlich auf Ebay landeten.

Allerdings bleiben auch die Lerneffekte aus. Wer 10.000 Stunden in Fotografie investiert hat, hat (hoffentlich) etwas über Blendenwerte, ISO, Bildkomposition und -bearbeitung gelernt. Wissen, das bei der Nutzung von KI-Tools hilfreich ist.

Gute Hardware ungleich guter Content

Das gilt nicht nur bei der Fotografie. Und wir merken bereits, dass der KI-Hype im Mainstream nicht lange anhält. Ja, der Papst in Balenciaga-Klamotte war witzig, die Jahrbuch-Selfies teilweise auch. Aber sie verändern nicht die Kunstgeschichte. Und auch die Schwemme an generischen bis schlechten GenAI-Bildern auf Social Media nimmt hoffentlich wieder ab. Die guten Bilder dürfen meiner Meinung nach auch gern bleiben — so wie bei der digitalen Fotografie.

Killt GenAI Arbeitsplätze?

Ich bin sehr unentschlossen. Ich habe mit GenAI Illustrationen erstellt, Moods, Storyboards und auch Logos und Stockmaterial. Der Punkt ist aber: Ich habe dafür vorher kein Geld ausgegeben, sondern so etwas schlicht nicht gekonnt bzw. mir für meine Hobbies nicht leisten können. Auch in den wenigsten Fällen, in denen ich GenAI im beruflichen Alltag einsetze, hätte man sonst einen Illustrator beauftragt. Wir hätten auf frei verwendbares Stockmaterial zurückgegriffen. Insofern sorgt Generative KI beispielsweise in diesem Artikel für ein einzigartiges und kontextuelles Bild.

Andererseits empfinde ich es als unfair, mit Minimalaufwand den Stil von zeitgenössischen Künstlern wie Banksy, Beeple oder RHADS imitieren zu können. Van Gogh oder Rembrandt zu imitieren tut ihnen nicht weh, es entsteht auch kein finanzieller Schaden. Zeitgenössischen Künstlern vielleicht schon. Und sie wurden nie gefragt. Aktuell klagt bspw. die New York Times gegen OpenAI. Und die Suche nach dem eigenen Namen oder Unternehmen auf haveibeentrained.com fördert mitunter auch befremdliches zutage.

Kann GenAI kreativ sein?

Ich denke nicht. AI reproduziert auf Basis von Trainingsdaten. Aber Prompt Engineers sind es sicherlich. Und so kann meiner Meinung nach auch ein neues, einzigartiges Werk entstehen.

Das Entwickeln von guten Prompts, das Verständnis zu entwickeln, wie eine KI auf Eingabe reagiert, wie man sie dazu bringt, das zu tun, was man sich vorstellt, das halte ich für einen durchaus künstlerischen Prozess.
Im Urheberrecht spricht man von einer Schöpfungshöhe, um schützenswerte Werke von denen abzugrenzen, die keinem urheberrechtlichen Schutz unterliegen. Es wird — national wie international — vermutlich vor Gericht ausgetragen werden müssen, wann ein Prompt bzw. das daraus entstehende Material eine Schöpfungshöhe erreicht. Ein simpler Prompt im Sinne von „Aquarellzeichnung einer Trauerweide an einem See“ ist es sicherlich nicht. Und wie bei dem berühmten Selfie eines Affen, der einem Fotografen die Kamera stibitzt hatte ein Streit um das Urheberrecht dieses Fotos zwischen Fotograf und PETA entstand, wird auch GenAI zu absurd anmutenden Gerichtsprozessen führen. Da bin ich mir recht sicher.

Verstärkt GenAI Stereotypendenken?

Egal wie betrachtet: Ja. Beispiele gab es in den letzten Monaten genug, etwa die rassistischen KI-Barbies (hier noch ein gutes Video) oder allgemein die Feststellung, dass einen Arzt oder Anwalt zu prompten primär zu Abbildung von weißen Menschen führte, während beispielsweise kriminelle Motive vermehrt mit schwarzen Menschen generiert wurden. Gleiches gilt auch für Geschlechter-Klischees. Die Betreiber arbeiten fieberhaft daran, das zu beheben und schießen dabei zum Teil über das Ziel hinaus. Versuchte man kürzlich, mit Googles Gemini AI Bilder von deutschen Soldaten aus dem zweiten Weltkrieg zu generieren, entstanden Bilder von schwarzen, asiatischen und weiblichen Soldat*innen. Der Telegraph hat einen ausführlichen Artikel dazu veröffentlicht.

Die Macht der Bilder und die Auswirkungen auf Politik und Zeitgeschehen

Die offensichtlich als Fake zu erkennenden Bilder vom Papst in Balenciaga sind amüsant. Die angeblichen Fotos von der Verhaftung von Donald Trump für einige ein Wunschtraum. KI-Bilder aus Gaza halte ich mindestens für problematisch — und es gibt sie neben echten Fotos etwa bei Adobe Stock zu kaufen. Mittlerweile sind generierte Bilder bei Adobe gekennzeichnet und mit dem Hinweis versehen, die redaktionelle Nutzung dürfe nicht irreführend oder täuschend sein. Aber wie gut funktioniert das? Die AfD setzt KI-Bilder längst im Wahlkampf zur Stimmungsmache ein (Link 1, Link 2)

Kann man die Nutzung von Generative AI also moralisch verantworten?

Wie vieles im Leben ist diese Frage nicht mit einem eindeutigen Ja oder Nein zu beantworten. GenAI bietet neue Chancen und Möglichkeiten — so wie Computer oder Digitalkameras, genauso wie sie neue Gefahren und Risiken mit sich gebracht haben.

Ich plädiere deshalb für einen unaufgeregten Umgang mit KI-Tools, teste sie, aber hinterfrage sie auch. Und hoffe, dass die Gesetzgebung klarere Rahmenbedingung bei der Nutzung schafft. Denn Moral ist eine Grauzone.

--

--

René Porth

38, strategy consultant, AI expert, tech enthusiast, diy musician and proud father